Andreas Hellmann

Vakuumphysikalische und technikphilosophische Aspekte des KreaturDenkens
Tagung Chaosmatische Anthropologie, 5. Juli 2003 Haus der Kulturen der Welt

 

Ich nehme den Faden der Hans-Peter Weberschen Kulturtheorie wieder auf und trage noch einmal kurz vor die wesentlichen Grundgedanken der Weberschen geschichtsphilosophischen Konzeption mit den beiden antipodischen Hauptbegriffen Kultur und Zivilisation (1), um im Anschluss daran der Frage nachzugehen, welche Rolle das so genannte physikalische Vakuum bzw. die Vakuumfluktuationen in Webers Konzept der PhysisKreativität spielen. Technikphilosophisch wird es dabei um folgende zwei Punkte gehen:
1. Ist das Vakuum eine Ressource für evolutionäre Entwicklungen, soll heißen: Ist die Herkunft evolutionärer Impulse eventuell das Vakuum? Und - in diesem Zusammenhang: Kann das Vakuum von uns heute im Sinne des Heideggerischen Ge-stells als Ressource für weitere Fitness-Steigerung benutzt werden?
Der 2. Punkt ist die Thematik der technogenen Nähe (2), worüber Michael Over im Anschluss ausführlich sprechen wird, wie abstrakt ist uns das Vakuum, bzw. ist es möglich, zu diesem Abstraktum Vakuum - auf der Basis eines einigermaßen hinreichenden physikalischen oder kreatologischen Verständnisses des Vakuums - eine Nähe, eine Beziehung, gar eine emotionale Beziehung aufzubauen? Wobei sich die Frage stellt, ob das so genannte Vakuum, das so genannte physikalische Vakuum, eine alleinige Domäne der Physik oder der Ingenieurswissenschaften ist? Was ich, wie schon deutlich wird, so nicht sehe.

Den Prozess der Zivilisation betrachtet Weber als Prozess zunehmender Selbstermächtigungs- Selbsterhebungs- und Selbstaussetzungstendenzen aufseiten der Subjekte, was er als Fitness-Steigerung bezeichnet, und was in der Konsequenz immer wieder starke schismogene Tendenzen, also gesellschaftliche Spaltungsprozesse, hervor treibt.
Bei diesem sich fortwährend beschleunigenden Prozess werden die Ressourcen, die zur Steigerung der Fitness eingesetzt, verbraucht werden, zunehmend immaterieller - zuerst grobe Materien über und unter der Erde, also Rohstoffe aller Art, später die Ressource Energie, also Elektrizität, Atomkraft; heute geht es vornehmlich um das Genom, um das Nukleare, und die letzte dieser Ressourcen ist die reine Differenz, d.h. Entwicklung, Fortentwicklung speist sich aus immer weiterer Differenzbildung.
Die Endstation des zivilisatorischen Prozesses ist die Weltgesellschaft der ausdifferenzierten Funktionssysteme im Sinne Luhmanns. Luhmann komme, so Weber, mit seiner Großtheorie der Sozialen Systeme nur bis zur Weltgesellschaft. Ein kreaturales Denken als ein Denken der Physis (Physis - nach Heidegger: das von sich her Aufgehende), ein kreaturales Denken also sieht hier aber evolutive Kräfte, Kräfte des Außen längst wirken, die über diesen zivilisatorischen Endzustand namens Weltgesellschaft hinausführen.
Posthistoire ist die epochale Verwindung, in der diese hochdramatische und spannungsgeladene Konstellation der ausdifferenzierten Funktionssysteme in einer Art zivilisatorischem Urknall auseinander fliegt, auseinander sprengt, sich zerstreut - festzumachen nicht zuletzt immer wieder an dem von Luhmann eingeführten Kategorienpaar der Inklusion und Exklusion. In dieser Verwandlungsphase, in dieser Verwirbelung geht die kategoriale, semantische Zivilisation über in die performative, programmierende nurture und schließlich in die Rekultivierungsform curture. Darüber haben wir heute morgen schon viel gehört.
Die wesentlichen Stichworte für Kultur, jener Gegenveranstaltung zur Zivilisation, sind Kohärenz, Kosmisierung und Einbergung. Kohärenz meint Zusammenhang, Zusammengehören, Zusammenhandeln, zusammen gehandelt werden, zusammen werden. Das beste Wort ist vielleicht zusammengehören, und Vakuumphysik kann in der Tat zeigen, dass und wie alles zusammengehört und zusammen wird.
Kosmisierung und Einbergung sehe ich sehr eng beieinander liegend. Gemeint ist ungefähr Folgendes: Wenn ich mich jetzt nur einmal auf frühe Gesellschaften beziehe, heißt Einbergung und Kosmisierung, dass die Menschen ihre "eigenen" Kräfte und Vermögen, die sie verwenden und mit denen sie umgehen, als souveräne Kräfte eines Abkünftigen, des Schöpfungsgrundes erkennen und erleben, als Kräfte, die nicht aus dem eigenen Inneren kommen, sondern die durch sie hindurch gehen.
Der erwähnte fünfphasige Verlauf einer Gesellschaftsevolution mit den Großphasen nature, culture, Zivilisation, der Verwandlungsphase nurture und der Rekultivierungsform curture wird zusammengehalten durch eine evolutive Figur, die Weber Inzess nennt; Inzess, das meint eine Krümmung, eine Rückkrümmung des geschichtlichen Verlaufes, die Spätestes mit Frühestem kurzschließt. Weber schreibt: "die Ent-wicklung (wird) inzessiv, (bewegt) sich in den Inzess mit den differenziell-generativen Abkunftspotentialen ... Der Fortschritt wird inzessiv, verfängt und manipuliert sich selbst in den Quellspuren, den genetisch-generativen Mikrogrammen der Her-kunft." (3)
In einer anderen Formulierung heißt es: Älteste und neueste Systemprogramme kommen zusammen, schließen sich inzessiv zusammen. Älteste Systemprogramme, das sind die Emergenz von Leben, Aminosäuren, Molekülen, Genen, Gehirn usw.; Jüngste Systemprogramme: die technischen und sozialen Systeme der Weltgesellschaft.

Ich möchte an dieser Stelle die Skizzierung der Weberschen Kulturtheorie nicht weiter verfolgen, um näher einzugehen auf jene entscheidende Phase einer Rückkrümmung des Geschichtsverlaufes, wobei hier jetzt meine Überlegungen zum physikalischen Vakuum einsetzen.
Die These ist nämlich, dass die Prozesse des bzw. im Vakuum mit dieser Rückkrümmung etwas zu tun haben, vielleicht ihn entscheidend steuern oder organisieren. Wie genau, das wäre zu zeigen, genauer: Es müsste etwas darüber gesagt werden, wie Impulse aus dem Vakuum mit jenen ältesten Systemprogrammen, über welche ja entscheidend jene Rückkrümmung läuft, zusammenwirken, wechselwirken. Und in der Tat hat in avancierten naturwissenschaftlichen Ansätzen eine Entwicklung eingesetzt, welche versucht, darüber etwas zu sagen. Ich komme darauf zurück.

KreaturDenken hat es mit Physis zu tun. (4) Alles kosmologische Nachdenken und Fragen galt immer dem mysteriösen Potential dieses Vermögens, dem Mysterium dieses endogenen Vermögens, wissend dass, was immer geschieht, als Physis geschieht.
PhysisDenken betrachtet die ehemals - philosophisch: als Seiende, Seiendes, Subjekte, Objekte bezeichneten Einheiten als Kreaturen, soll heißen als Schöpfung, Geschöpfe, die in einem fortwährenden Schöpfungs- und Verwandlungsprozess, in einem konstanten Werdens- und Umformungsprozess stehen. PhysisDenken, KreaturDenken steht so in der Traditionslinie jenes Konzeptes einer fortwährenden Schöpfung, der creatio continua.
PhysisDenken beginnt mit dem grundlosen Grund, der schlichtweg emanativ, performativ ist.
Die Verfassung dieses Totums ist Virtualität, d.h. reine Potentialität, reine potentielle Kreativität die permanent in aktuelle Kreativität übergeht. Jonglierend mit diesen beiden Komponenten der Virtualität und der Aktualität, welche nach Deleuze das Reale ausmachen, heißt es bei Weber: die Potentialität der Kreativität ist Virtualität, die Aktualität dieser Virtualität als Kreativität ist Intensität.
Die raffinitätsärmste, d.h. niedrigst komplexe, Kreativitätsphase dieses grundlosen Grundes sind nach Weber dessen Intensitätsfluktuationen. Das sind - für die Quantentheoretiker - die so genannten Vakuumfluktuationen des Nullpunktfeldes.

Als Nullpunktfluktuationen (5) werden die energetischen Schwankungen des Vakuums bezeichnet, d.h. das momentane Auftauchen subatomarer Partikel aus einem substanzlosen Energiemeer, gefolgt von ihrem sofortigen Wieder-Verschwinden, Wieder-Zurückfallen in die Substanzlosigkeit. Diese kurzlebigen Partikel werden auch als virtuelle Teilchen bezeichnet, weil sie keinen Bestand haben, sie tauchen gewissermaßen aus dem Nichts auf und fallen unmittelbar darauf folgend in das Nichts zurück. Während ihres kurzen Aufenthaltes in der materiellen Welt senden diese virtuellen Teilchen einen schwachen elektromagnetischen Impuls aus, dessen Strahlung jedoch nach kürzester Distanz bereits wieder erlischt. Das so genannte Vakuum ist also keineswegs leer, vielmehr von einer unvorstellbaren Energiedichte, den enormen Energien des Nullpunktfeldes, erfüllt.
Diese intensive Strahlung wird von uns trotz ihrer Dichte nicht wahrgenommen, weil sie den Raum in allen Richtung gleichförmig durchdringt (Isotropie) und die Kräfte sich so gegenseitig aufheben. Die Prozesse der Quantenfluktuationen finden sowohl in den Weiten der interplanetarischen Räume, in denen die Anzahl der (stabilen) Atome gering ist, als auch in den "Weiten" der intraatomaren Räume, also zwischen den Massen des Atoms, statt. Die Nullpunktfluktuationen sind der Grund dafür, dass alle subatomare Materie schwingt, weshalb es gemäß Heisenbergschen Unschärferelation nicht möglich ist, zugleich Impuls und Ort eines subatomaren Partikels zu bestimmen.
"Nullpunkt" bezieht sich auf folgende zwei Aspekte: Erstens dass das Nullpunktfeld auch noch am absoluten Nullpunkt, d.h. bei 0°K = -273,1°C, existiert und zweitens dass alle wirkenden Kräfte und Energien gegeneinander eingeschlagen sind, d.h. sich zu Null summieren. Was bedeutet, dass beispielsweise keine elektrischen oder magnetischen Feldkomponenten messbar sind. Von entscheidender Bedeutung für die Frage nach dem Stellenwert des Nullpunktfeldes ist aber die Frage, ob es eine Interaktion zwischen dem Vakuum und der materiellen Welt gibt, was von der Mehrheit der Quantentheoretiker nicht angenommen, für Äthertheoretiker wie Wilhelm Reich oder Nikola Tesla gerade zum zentralen Bestandteil ihrer Äther- bzw. Vakuumkonzeptionen wurde.

Raffinitätsärmer, wenig komplex im Weberschen Sinne, sind solche Fluktuationen sicherlich im Vergleich etwa zu Molekülen wie der DNS, im Vergleich etwa auch zum Gehirn oder gar zu gesellschaftlichen Systemen, das ist keine Frage. Das kann aber leicht den Blick darauf verstellen, dass das Vakuum auf der Ebene der Intensitätsfluktuationen ein hochkomplexes, hoch strukturiertes, wenn auch virtuelles Gebilde ist. Ervin Laszlo schreibt in seinem Buch "Kosmische Kreativität" (6), aus dem ich gleich zitieren werde, dass im Vakuum verschiedene Wellenformen generiert werden, die sich gegenseitig überlagern, und relativ stabile Interferenzmuster bilden, die als virtuelle Informationsfelder interpretiert werden können. So gesehen wäre das Vakuum nach Laszlo der größte Informationsspeicher, den man sich überhaupt nur vorstellen kann. Von wegen leer.

1951 schreibt der englische Physiker Edmond T. Whittaker in der 2. Auflage seines Buches "A History of the theories of Aether and electricity":

"Es wurde üblich, die interplanetarischen Räume als ´Vakuum´ zu betrachten, wobei das Vakuum als die reine Leere verstanden wurde, die keine Eigenschaften besitzt außer der, elektromagnetische Wellen zu leiten. Aber mit der Entwicklung der Quantenelektrodynamik wurde das Vakuum als Sitz von ´Null-Punkt´-Oszillationen des elektromagnetischen Feldes verstanden ... Es scheint geradezu absurd, die Bezeichnung ´Vakuum´ für eine Entität beizubehalten, die so reich an physikalischen Eigenschaften ist, und die Bezeichnung ´Äther´ kann deshalb durchaus passend wieder verwendet werden." (7)

Zwei sehr gleich lautende Zitate jetzt von dem Physik-Nobelpreisträger Paul Dirac aus den Jahren 1951 und 1953:

"Im letzten Jahrhundert war die Idee eines alles durchdringenden Äthers verbreitet als das Fundament, auf dem die Theorie der elektromagnetischen Phänomene aufgebaut werden konnte ... Das physikalische Wissen hat seit 1905 sehr große Fortschritte gemacht, insbesondere durch das Auftreten der Quantenmechanik, und die Situation hat sich wieder geändert. Wenn man die Frage im Licht des heutigen Wissens erneut behandelt, findet man, daß der Äther nicht länger durch das Relativitätsprinzip ausgeschlossen wird, und heute können gute Gründe angeführt werden, einen Äther zu postulieren." (8)

"Wenn ich über die Wiedereinführung des Äthers spreche, meine ich nicht, daß wir zum Äthermodell des 19. Jahrhunderts zurückkehren sollten, sondern ich denke an die Einführung einer neuen Vorstellung vom Äther, die sich nach den gegenwärtigen Modellen der Quantentheorie richtet." (9)

Wichtig und bemerkenswert scheint mir hier zu sein, dass im Evolutionsdenken Webers diese Ebene der physikalischen Vakuumfluktuationen einen Platz bekommt.
Wie genau diese Ebene der Vakuumprozesse mit dem Evolutionsgeschehen verbunden ist, welche Impulse die Evolution aus dem Vakuum vermutlich konstant erhält, das wird jetzt langsam Stück für Stück klar. Hier stehen wir wirklich erst ganz am Anfang eines Erkenntnisprozesses, der unser Verständnis von Evolution bzw. Naturprozessen ganz allgemein und von gesellschaftlichen Prozesses erweitern wird. Welche Richtungen hier seit einiger Zeit schon eingeschlagen worden sind, möchte ich im Folgenden anhand eine Reihe von Zitaten zunächst aus Ervin Laszlos Buch "Kosmische Kreativität", das Hans Peter Weber auch mehrfach erwähnt, verdeutlichen. Laszlo schreibt zunächst ganz allgemein über die Prozesse, die im Vakuum stattfinden, folgendes:

"Im Licht zeitgenössischer Physik erscheint das Quantenvakuum als dichte Struktur virtueller Energie: es ist ein gasförmiges Kontinuum unterschiedlicher Dichte aus fluktuierenden virtuellen Teilchen." (Laszlo, 182)
"Die Ergänzung der bekannten Eigenschaften des Vakuums durch das SVS (Skalares Vakuum Spektrum) erweitert das Standardkonzept des Universums. Es enthält nun sowohl die vektoriellen als auch die skalaren Energieflüsse des Vakuums. Dieses sich selbst modulierende und mitevolvierende Vakuum muß keine abstrakte Vorstellung bleiben; es verdient vielmehr, ein Teil unserer fundamentalen Weltanschauungen zu werden." (Laszlo, 195)
Das Vakuum ist "ein strukturiertes virtuelles Energiefeld, das zwei Wellentypen erzeugt: Soliton-ähnliche Vektorwellen, die in Form geladener Masseteilchen die Raumzeit durchlaufen, und nicht-vektorielle, ´skalare´ Wellen, die sich im Vakuum ausbreiten." (Laszlo, 183)

Laszlo geht dann wenig später über, spezielle Wechselwirkungsprozesse zwischen dem Vakuumfeld und bestimmten materiellen Strukturen zu beschreiben. Ich möchte zwei dieser materiellen Strukturen herausgreifen: die DNS und das Gehirn.

Zur Wechselwirkung zwischen Vakuumfeld und DNS schreibt Laszlo:

"Unter der Annahme, daß das wachsende Zellsystem deutlich chaotisch - daher auch höchst empfindlich - ist, könnte die im Vakuum gespeicherte Information zur Erklärung der genauen Regelungsvorgänge bei Wachstum und Differenzierung des Embryos als Wechselwirkung zwischen DNS-kodierten Zellen, der Biochemie der Gebärmutter und der vom ?-Feld übertragenen In-formationen dienen ... Nicht meßbare Fluktuationen des Vakuums, die auf das System einwirken, können meßbare, tatsächlich sogar entscheidende Wirkungen auf seine Entwicklung ausüben. Das höchst empfindliche embryonale Wachstumssystem unterliegt einer ständigen Wechselwirkung mit den multidimensionalen Wellenformen, die durch Generationen von Vorfahren in das Vakuum übertragen wurden." (Laszlo, 213)

Was an diesem letzten Satz deutlich wird, ist, dass die Wechselwirkungen zwischen dem Vakuum und der Ebene des Aktuellen offenbar keine Einbahnstraße ist. Aktuelle Ereignisse hinterlassen ihre Spuren im Vakuum. Sie werden dort in Form von Interferenzmustern abgespeichert und können dann auch wieder zurückwirken auf die Ebene des Aktuellen. Diese Rückwirkung von im Vakuum gespeicherten Informationen nannte Rupert Sheldrake in seiner Theorie der morphogenetischen Felder morphische Resonanz.
Ich zitiere noch einmal Laszlo. Es geht jetzt um die Wechselwirkungen zwischen dem Vakuumfeld und dem Gehirn. Dazu heißt es:

Das Wechselwirkungsgeschehen zwischen Gehirn und dem Vakuum ist "ein Sonderfall der generellen Beziehung zwischen Materie-Energie-Systemen und dem Quantenvakuum." "(Die) vom Gehirn verarbeitete Information (schließt) über die von den Sinnesorganen übertragenen Nervenimpulsen hinaus auch die vom Psifeld vermittelten Signale ein." "Wie bei anderen Materie-Energie-Systemen findet sich auch beim Gehirn eine kontinuierliche Wechselwirkung mit dem Energiefeld des Quantenvakuums ... können große Nervengruppen als Reaktion auf kleinste Veränderungen plötzlich und gleichzeitig aus einem komplexen Aktivitätsmuster in ein anderes übergehen." (Laszlo, 230)

Ich möchte noch eingehen auf einen der führenden Theoretiker des Nullpunktfeldes, den amerikanischen Physiker Harold Puthoff. Puthoff hat in den 80er Jahren z.T. zusammen mit Bernhard Haisch und Alfonso Rueda, mehrere Arbeiten in renomierten physikalischen Fachzeitschriften veröffentlicht, die sowohl die Stabilität der Materie, die Trägheit der Masse als auch die Gravitation durch die Wechselwirkung (geladener) Partikel mit dem Nullpunktfeld zu erklären versuchte.
Zum Beispiel erklärt Puthoff die nicht abschließend geklärte Frage, warum die Umlaufbahn eines Elektrons um den Kern stabil bleibt und die Elektronen beim Umkreisen des Kerns nicht einen Teil ihrer Energie abstrahlen und dann auf einer spiralförmigen Bahn in den Kern stürzen, durch die Aktivität des Nullpunktfeldes, d.h. durch die Wechselwirkung zwischen den Elektronen und dem Nullpunktfeld. Puthoff sagte, dass die Elektronen tatsächlich ständig Energie abgeben, aber zugleich den entsprechenden Betrag an Energie aus dem Nullpunktfeld wieder aufnehmen, so dass ein dynamisches Gleichgewicht zwischen der abgestrahlten und der aufgenommenen Energie entsteht, welches die Elektronen im Grundzustand stabilisiert. Das heißt aber nicht mehr und nicht weniger, als dass das Nullpunktfeld für die Stabilität der gesamten Materie verantwortlich ist. (10)

Ich versuche zusammenzufassen:
Es kommt heute im Denken der Evolution, in sehr avancierten systemtheoretischen naturwissenschaftlichen Theorieansätzen und auch im KreaturDenken Hans-Peter Webers eine Wirklichkeitsebene ins Spiel, die vorher recht fahrlässigerweise nicht thematisiert worden ist, die Ebene des Vakuums, das, soviel sollte klar sein, wahrlich nicht leer ist.
Wenngleich die Beschreibung dessen, was auf dieser Ebene geschieht, natürlich längst mit sehr viel Mathematik versehen worden ist, z.T. sogar überraschend anschaulich ausfällt, ist dieses ganze Kapitel Vakuum sicherlich noch reichlich abstrakt, ebenso wie auch das Konzept des Außen, der Immanenz- und Konsistenzebene im Denken von Deleuze uns allen zumindest anfangs einigermaßen unverständlich und abstrakt gewesen sein dürfte, worüber Michael Over uns gleich etwas sagen wird.
Das war vermutlich nicht immer so gewesen. Um einen letzten Ausflug in Webersche Theorie zu machen: Am Anfang von "MEDIAanaRITEN" (11) beschreibt Weber, dass es im Opferritus der frühen Kulturen zu einer lebendigen Begegnung mit dem Schöpfungstotum kommt, wobei den Teilnehmern klar ist bzw. wird, dass die Kräfte und Vermögen, die sie verwenden, souveräne Kräfte dieses Schöpfungstotums sind, die durch sie hindurchgehen.
Mit dieser Nähe zu diesem Schöpfungsgrund scheint es größtenteils vorbei zu sein, und wir haben allerhand Probleme, rekonstruierend überhaupt einigermaßen mitzubekommen, was da gelaufen ist. Gleichwohl, die Thematik des Vakuums, des grundlosen Grundes, eines undifferenzierten Totums, ist in der wissenschaftlichen Diskussion ganz offensichtlich angekommen - und zwar endlich auch in seiner nicht-entschärften Form: Die entschärfte Form der Vakuum- bzw. Nullpunktfeldtheorien wäre die Auffassung, dass es aufgrund der Isotropieeigenschaften des Vakuums keine Wechselwirkungen des Vakuums mit der empirischen Ebene geben könne. Die Äthertheoretiker des 20. Jahrhunderts haben es gerade als wesentlich angesehen, die Isotropie des Vakuums zu stören, um direkt mit den Kräften des Äthers bzw. des Vakuums arbeiten zu können - beispielsweise energietechnisch, zur Erzeugung von kostengünstigem und nicht-umweltschädlichem Strom aus dem Äther (Nikola Tesla) (12) oder therapeutisch (Wilhelm Reich) (13).
Ich glaube auch nicht, dass die Vakuumprozesse chaotisch und unzusammenhängend sind, sondern vielmehr Rhythmen und Mustern folgen. Das Vakuum ist vermutlich eine Art Rhythmus- oder Zeitgeber für das Aktuelle.
Eine Philosophie der Technik hat diese Ebene zu integrieren, zumal auch hier wieder natürlich die Gefahr des Ge-stells droht, was heißt, dass auch das Vakuum und seine Kräfte als Ressourcen, unter Umständen weit effektiver noch als beispielsweise das Genom, für weitere Fitness-Steigerung, benutzt werden könnte, was freilich nicht ohne naturwissenschaftliche Höchstleistungen zu haben sein wird.
Es kommt heute darauf an, nicht nur diese Ebene des Vakuums vom naturwissenschaftlichen, vom philosophischen, ontologischen Standpunkt her zu integrieren, sondern auch sich ihr im Sinne einer technogenen Nähe anzunähern, die Distanz, die sowohl durch Nicht-Wissen, durch thematische Ausgrenzung, als auch durch Abstraktion entstanden ist, zurückzunehmen, so dass also die Denkbemühungen, die gegenwärtig unter dem Terminus der technogenen Nähe sich zusammenfassen lassen, sich nicht nur beziehen auf jenen Großcontainer namens Gesellschaft, Massengesellschaft, Weltgesellschaft und auf technische Systeme, sondern auch auf solche (immer noch) Abstrakta wie das Außen, die Immanenzebene, das Offene oder eben das Vakuum.
Damit sollte ich einigermaßen gut die Stelle erreicht haben, an der Michael Over jetzt direkt einsetzen wird.


Anmerkungen

  1. Weber, Hans-Peter, Wie spät ist es?, in: menschen formen. Aufsätze, Arbeitsgruppe menschen formen (Hrsg.), Marburg, 2000, 10-59
  2. Ternes, Bernd, Technogene Nähe, http://userpage.fu-berlin.de/~miles/technai.htm
  3. Weber, Hans-Peter, Wie spät ist es?, a.a.O., 29f
  4. Weber, Hans-Peter, Kreatur im/als Kopf | Als Kreatur denken | Die Kreatur denken. (unveröffentlicht)
  5. Puthoff, Harold, Everything for nothing, New Scientist, 28.7.1990, 52-55; Puthoff, H., Haisch, Bernhard, Rueda, Alfono, Beyond E=mc2. A first glimpse of a universe without mass, Sciences, Nov./Dec. 1994, 26-31; Laszlo, Ervin, Kosmische Kreativität, Frankfurt/M., Leipzig, 1997, bes. 165-96; Laszlo, Ervin, Das fünfte Feld, Bergisch Gladbach, 2000, bes. 226-41; McTaggart, Lynne, Das Nullpunktfeld. Auf der Suche nach der kosmischen Ur-Energie, München, 2002, 38-70
  6. Laszlo, Ervin, Kosmische Kreativität, Frankfurt/M./Leipzig, 1997
  7. Whittaker, Edmond T., A History of the Theories of Aether and Electricity, 1951
  8. Dirac, Paul, Is there an Aether?, Nature 168, 1951, 906
  9. Dirac, Paul, Die Stellung des Äthers in der Physik, Vortrag 1953, gehalten in Lindau, Naturwissenschaftliche Rundschau, Nov. 1953, Heft 11, 441-46
  10. Puthoff, Harold, Ground state of hydrogen as a zero-point-fluctuation-determined state, in: Physical Review D, 1987, 35, 3266-70
  11. Weber, Hans-Peter, MEDIAanaRITEN, Marburg, 2002, 3-8
  12. Tesla, Nikola, Michaels-Verlag (Hrsg.), Bd.2, Meine Erfindungen - Das Problem der Steigerung der menschlichen Energie. Die Autobiographie mit einem Artikel über die diversen Energieerzeugungsmethoden, Peiting, 1997; Teslas verschollene Erfindungen. Geniale Techniken wiederentdeckt, VAP-Verlag, 2.Aufl., Wiesbaden, 1997; O'Neill, John, Tesla, Frankfurt/M., 1997; Cheney, Magaret, Nikola Tesla. Erfinder, Magier, Prophet, Düsseldorf, 1995
  13. Reich, Wilhelm, Charakteranalyse, Köln, 1989; ders., Die Entdeckung des Orgons, Bd.2, Der Krebs, Köln, 1994

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